Rasse statt Masse |
In den Zeiten der Turbo-Kuh haben
es alte Haustierrassen schwer. Sattelschwein und Vorwerkhuhn, Limpurger Vieh und Thüringerwald-Ziege sind unrentabel geworden. Nur eine Handvoll Züchter bewahrt sie vorm Aussterben. |
Von Marlies Menge und Roger Melis
(Photos) |
Sophie ist neugierig, wie
nur Ziegen es sind. Sie ist eine Thüringerwald-Ziege, beheimatet in
Burglemnitz, und sie gehört Helmut Reichenbächer, der jede seiner Ziegen beim
Nahmen nennt. Ruft er „Gunda“, weiß die kleine Dunkelbraun-Weiße, dass sie
gemeint ist, ruft er „Gerda“, drängt sich ihre Mutter an ihn. Im Norden der alten DDR, auf der Insel
Rügen, sind bedächtigere Tiere zu Hause: Pommersche Landschafe. Sie werden
von Joachim Westphal in Groß-Zicker gehalten, zu dessen Familientradition die
grauen, rauwolligen Pommern gehören. Vater und Großvater haben sie gehalten.
Sohn Frank wird sie weiter halten. Gemeinsam ist Thüringer Ziege und
Pommernschaf, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Was kaum einer ahnt:
Nicht nur Schwarzstorch und Wildkatze, sondern auch Limpurger Pferd,
Schwäbisch-Hällisches Schwein und Vorwerkhuhn verschwinden, wenn nichts für
sie getan wird. Mehr als vierzig deutsche Nutztierrassen stehen auf der roten
Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen
(GEH), die Hälfte davon, mit weniger als jeweils tausend Exemplaren, gilt als
sehr gefährdet. Solche Gefahr abzuwenden, taten sich 1981 sieben Menschen
zusammen. Inzwischen hat die GEH über 400 Mitglieder: Landwirte Tierärzte,
Wissenschaftler und andere, die sich für die Vielfalt der Arten einsetzen. Zu
ihnen gehört auch Joachim Westphal mit seinen Schafen. Westphal ist Mecklenburger, einer von der wortkargen Sorge. „Früher hatte hier jeder Bauer und Fischer graue Pommern“, sagt er, „weil die auskommen mit unseren mageren Trockenrasen und den feuchten Wiesen.“ Erste Gefahr lauerte ihnen im |
19. Jahrhundert durch die Textilindustrie. Merinos wurden aus Spanien eingeführt. Deren feine Wolle konnte für 22 Taler pro Pfund verkauft werden, die gleiche Menge vom Rauhwolligen Pommerschen Landschaf brachte ganze 5,5 Taler. Die Gutsschäfereien stellten auf Merinoschaf um. Nur die kleinen Bauern blieben über die Jahre den blaugrauen Pommern treu. In der Nachkriegszeit gab es 110 000 Pommernschafe, 37 Prozent des Gesamtschafbestandes im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern. „Das ging bis 1968, bis zur großen Kollektivierung.“ Dann stellte die LPG Groß-Zicker auf Merinos um. „Privat behielt jeder ein paar Pommern.“ Unter ihnen war Vater Westphal. Joachim Westphal wurde Bauingenieur, hatte zunächst mit Schafen nichts im Sinn, bis ihm 1976 sein Vater eins schenkte. Seitdem hat ihn die Leidenschaft zum Schaf nicht mehr losgelassen. „Unser Leben ist von Schafen geprägt“, erzählt seine Frau, „Urlaub machen wir nur dort, wo es Schafe gibt.“ Sie Ist klug: Anstatt sich über ihres Mannes Schaffanatismus zu ärgern, macht sie mit. Westphal registrierte sämtliche
Pommernschafe der Insel, wollte mit deren Haltern in den Verband für private
Tierzüchter eintreten. Die blockten ab: „Kein Interesse.“ Er schrieb an den
Landwirtschaftsminister: „Und dann ging es.“ Auf einmal lud Ihn der Verband
ein, von den Pommern zu erzählen. Mit dem letzten Zuchtbuchführer der
Pommernschafe fuhr er durch die Lande, und sie registrierten die Reste. Ein
Verein wurde gegründet. 1982 begann eine LPG, eine lebende Genreserve
aufzubauen, mit 7 Böcken und 46 Mutterschafen. Das graue Pommernschaf schien
gerettet. |
Auf einer Wiese nahe dem Haus der
Westphals beäugt uns eine Gruppe von halbwüchsigen Böcken. Weiter draßen
grasen sechzig Muttertiere und ihre rund neunzig Nachkommen, graublau die
Alten, schwarz die Lämmer. Westphals Sohn Frank hat gerade eine Schäferlehre
in Niedersachsen beendet. Das Umpferchen der Tier läuft bei ihm wie am
Schnürchen. Die beiden Altdeutschen Schäferhunde Lisa und Max helfen. Ein
Lamm springt über den Zaun. Lisa holt es zurück. „Manche mögen Mercedes,
andere VW, ich mag diese Sorte Schaf“, sagt Joachim Westphal. Reich wird er
nicht damit. Ein
Schaf gibt zwischen drei und fünf Kilo Wolle. „Aber was bedeutet das schon?
Zu DDR-Zeiten gab es für ein Kilo sechzig Mark, jetzt für die gleiche Menge
ganze sechzig Pfennig.“ Er bekommt Ausgleichszahlungen wie alle Bauern in den
neuen Bundesländern. Aber das macht ihn nicht froh. Er setzt auf eine größere
Herde. Von 500 Schafen, hofft er, eines Tages leben zu können. Bis jetzt leben Westphals vor allem von
Sommergästen. Als sie nach der Wende arbeitslos wurden, bauten sie die Tenne
aus. Der jüngere Sohn wird Koch: „Vielleicht spezialisiert er sich eines
Tages auf Lammgerichte“, spöttelt seine Mutter. Was wäre, wenn arbeitslose
Rügenerinnen sich wieder aufs Spinnen verlegten? Die Wolle der Pommern
braucht nicht einmal gefärbt zu werden. Ihre Farbskala reicht von Hellgrau
bis Schwarz. In langen Wintermonaten könnten daraus Westen oder warme Socken
gestrickt werden, sicher im Sommer leicht an Touristen zu verkaufen, denen
der Anblick der graublauen Pommern auf der Weide vorher vielleicht das Herz
erwärmt hat... Zukunftsmusik. ... |